Physan | Decision 2606799

WIDERSPRUCH Nr. B 2 606 799

Chemisches Laboratorium Dr. Kurt Richter GmbH, Sperenberger Straße 3, 12277 Berlin, Deutschland (Widersprechende), vertreten durch Mitscherlich, Patent- und Rechtsanwälte, PartmbB, Sonnenstraße 33, 80331 München, Deutschland (zugelassener Vertreter)

g e g e n

Protecting Internet-Online-Dienste GmbH, Yorckstr. 19, 76185 Karlsruhe, Deutschland (Anmelderin), vertreten durch Zdarsky Wirtschaftsrecht, August-Schanz-Str. 8 Eing. B, 60433 Frankfurt am Main, Deutschland (zugelassener Vertreter).

Am 10/03/2017 ergeht durch die Widerspruchsabteilung die folgende

ENTSCHEIDUNG:

1.        Dem Widerspruch Nr. B 2 606 799 wird teilweise stattgegeben, und zwar für die folgenden angefochtenen Waren:

Klasse 1:        Chemische Erzeugnisse zur Herstellung von Kosmetika; Chemische Substanzen zur Herstellung von parfümierten Kosmetika; Chemische Verbindungen und Materialien zur Nutzung im Bereich der Kosmetik; Chemische Zusatzstoffe für die Flusskontrolle von Kosmetika; Emulgatoren für die Herstellung von Kosmetika; Fermentierte Reiskleie für die Herstellung von Kosmetika; Feuchthaltemittel [chemische Substanzen] für die Herstellung von Kosmetika; Glutaminsäure als Rohstoff zur Herstellung von Kosmetika; Inhaltsstoffe auf Kollagenbasis für Kosmetika; Methylzellulose als Basisprodukt für die Kosmetikindustrie; Polymere als chemische Erzeugnisse für die Kosmetikindustrie; Proteine zur Verwendung bei der Herstellung von Kosmetika; UV-absorbierende Wirkstoffe zur Verwendung in Kosmetikprodukten. 

2.        Die Unionsmarkenanmeldung Nr. 14 501 365 wird für alle obigen Waren zurückgewiesen. Sie kann für die restlichen Waren und Dienstleistungen weitergeführt werden.

3.        Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

BEGRÜNDUNG:

Die Widersprechende legte Widerspruch gegen alle Waren und Dienstleistungen der Unionsmarkenanmeldung Nr. 14 501 365 ein. Der Widerspruch beruht unter anderem auf der Unionsmarkeneintragung Nr. 3 205 416. Die Widersprechende berief sich auf Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a und b und Artikel 8 Absatz 5 UMV.

VERWECHSLUNGSGEFAHR – ARTIKEL 8 ABSATZ 1 BUCHSTABE b UMV

Verwechslungsgefahr liegt vor, wenn die Gefahr besteht, dass das Publikum der Auffassung sein könnte, die mit den infrage stehenden Marken gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen stammten von demselben Unternehmen oder gegebenenfalls von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen. Ob eine Verwechslungsgefahr besteht, hängt bei einer umfassenden Beurteilung von der Abwägung mehrerer, voneinander abhängiger Faktoren ab. Zu diesen Faktoren gehören die Ähnlichkeit der Zeichen, die Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen, die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, die kennzeichnenden und dominierenden Elemente der in Konflikt stehenden Zeichen sowie das relevante Publikum.

Der Widerspruch beruht auf mehr als einer älteren Marke. Aus Gründen der Verfahrensökonomie prüft die Widerspruchsabteilung den Widerspruch zuerst in Bezug auf die Unionsmarkeneintragung Nr. 3 205 416 der Widersprechenden.

  1. Die Waren

Der Widerspruch basiert auf den folgenden Waren:

Klasse 1:         Chemische Erzeugnisse für gewerbliche Zwecke, nämlich Rohstoffe und Zusatzstoffe zur Herstellung kosmetischer Mittel.

Der Widerspruch richtet sich gegen die folgenden Waren und Dienstleistungen:

Klasse 1         Chemische Erzeugnisse zur Herstellung von Kosmetika; Chemische Substanzen zur Herstellung von parfümierten Kosmetika; Chemische Verbindungen und Materialien zur Nutzung im Bereich der Kosmetik; Chemische Zusatzstoffe für die Flusskontrolle von Kosmetika; Emulgatoren für die Herstellung von Kosmetika; Fermentierte Reiskleie für die Herstellung von Kosmetika; Feuchthaltemittel [chemische Substanzen] für die Herstellung von Kosmetika; Glutaminsäure als Rohstoff zur Herstellung von Kosmetika; Inhaltsstoffe auf Kollagenbasis für Kosmetika; Methylzellulose als Basisprodukt für die Kosmetikindustrie; Polymere als chemische Erzeugnisse für die Kosmetikindustrie; Proteine zur Verwendung bei der Herstellung von Kosmetika; UV-absorbierende Wirkstoffe zur Verwendung in Kosmetikprodukten.  

Klasse 3         After-Sun-Gele [Kosmetika]; After-Sun-Öle [Kosmetika]; Bräunungsgele [Kosmetika]; Bräunungsmilch [Kosmetika]; Bräunungsmittel [Kosmetika]; Bräunungsöle [Kosmetika]; Eyeliner [Kosmetika]; Concealer [Kosmetika]; Farbstoffe für die Kosmetik; Feuchte Kosmetiktücher; Feuchtigkeitsmittel [Kosmetika] für den Körper; Hautpflegelotionen [Kosmetika]; Gesichtswasser [Kosmetika]; Gesichtswässer [Kosmetika]; Sonnenschutzpräparate [Kosmetika]; Feuchtigkeitspflegemittel [Kosmetika]; Sonnenschutzcremes [Kosmetikartikel]; Rasiercremes [Kosmetikartikel]; Schaumbäder [Kosmetikartikel]; Kosmetiknecessaires [gefüllt]; Sonnenschutzmittel enthaltender Kosmetikschaum; Reiniger für Kosmetikbürsten; Kosmetika und kosmetische Präparate; Mit Kosmetika getränkte Reinigungspads; Kosmetika, als Set verkauft; Imprägnierte Tücher für Kosmetikzwecke; Henna [Färbemittel für die Kosmetik]; Mit Zahnbleichpräparaten getränkte Zahnaufhellungsstreifen [Kosmetika]; Sonnenschutzmittel für die Lippen [Kosmetika]; Sunblocker in Form von Ölen [Kosmetika]; Grundierungen für Finger- und Zehennägel [Kosmetika]. 

Klasse 44         Gesundheitspflege für den Menschen; Hygiene- und Schönheitspflege für den Menschen; Beratungen in Bezug auf Kosmetika; Kosmetikbehandlungen für Gesicht und Körper. 

Eine Auslegung des Wortlautes des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses ist erforderlich, um den genauen Umfang der Schutzbereiche dieser Waren und Dienstleistungen zu bestimmen.

Das Wort „nämlich“, welches im Warenverzeichnis der Widersprechenden benutzt wird, um die Beziehung der konkreten Waren und Dienstleistungen zur weiter gefassten Kategorie aufzuzeigen, wirkt ausschließend und beschränkt den Umfang der Eintragung auf die konkret angegebenen Waren und Dienstleistungen.

Einleitend ist festzustellen, dass nach Artikel 28 Absatz 7 UMDV Waren und Dienstleistungen werden nicht deswegen als ähnlich oder unähnlich angesehen werden, weil sie in derselben Klasse oder in verschiedenen Klassen der Nizza-Klassifikation erscheinen.

Zu den relevanten Faktoren im Zusammenhang mit dem Vergleich der Waren oder Dienstleistungen zählen unter anderem die Art und der Zweck der Waren oder Dienstleistungen, die Vertriebswege, die Verkaufsstätten, die Hersteller, die Nutzung und ob sie miteinander konkurrieren oder einander ergänzen.

Angefochtene Waren in Klasse 1

Die angefochtenen Chemische Erzeugnisse zur Herstellung von Kosmetika; Chemische Substanzen zur Herstellung von parfümierten Kosmetika; Chemische Verbindungen und Materialien zur Nutzung im Bereich der Kosmetik; Chemische Zusatzstoffe für die Flusskontrolle von Kosmetika; Emulgatoren für die Herstellung von Kosmetika; Fermentierte Reiskleie für die Herstellung von Kosmetika; Feuchthaltemittel [chemische Substanzen] für die Herstellung von Kosmetika; Glutaminsäure als Rohstoff zur Herstellung von Kosmetika; Inhaltsstoffe auf Kollagenbasis für Kosmetika; Methylzellulose als Basisprodukt für die Kosmetikindustrie; Polymere als chemische Erzeugnisse für die Kosmetikindustrie; Proteine zur Verwendung bei der Herstellung von Kosmetika; UV-absorbierende Wirkstoffe zur Verwendung in Kosmetikprodukten und die Chemischen Erzeugnisse für gewerbliche Zwecke, nämlich Rohstoffe und Zusatzstoffe zur Herstellung kosmetischer Mittel der Widersprechenden sind identisch, weil die Waren der Widersprechenden die angefochtenen Waren enthalten, in ihnen enthalten sind oder sich mit ihnen überschneiden.

Angefochtene Waren in Klasse 3

Die angefochtenen After-Sun-Gele [Kosmetika]; After-Sun-Öle [Kosmetika]; Bräunungsgele [Kosmetika]; Bräunungsmilch [Kosmetika]; Bräunungsmittel [Kosmetika]; Bräunungsöle [Kosmetika]; Eyeliner [Kosmetika]; Concealer [Kosmetika]; Farbstoffe für die Kosmetik; Feuchte Kosmetiktücher; Feuchtigkeitsmittel [Kosmetika] für den Körper; Hautpflegelotionen [Kosmetika]; Gesichtswasser [Kosmetika]; Gesichtswässer [Kosmetika]; Sonnenschutzpräparate [Kosmetika]; Feuchtigkeitspflegemittel [Kosmetika]; Sonnenschutzcremes [Kosmetikartikel]; Rasiercremes [Kosmetikartikel]; Schaumbäder [Kosmetikartikel]; Kosmetiknecessaires [gefüllt]; Sonnenschutzmittel enthaltender Kosmetikschaum; Die angefochtenen Reiniger für Kosmetikbürsten; Kosmetika und kosmetische Präparate; Mit Kosmetika getränkte Reinigungspads; Kosmetika, als Set verkauft; Imprägnierte Tücher für Kosmetikzwecke; Henna [Färbemittel für die Kosmetik]; Mit Zahnbleichpräparaten getränkte Zahnaufhellungsstreifen [Kosmetika]; Sonnenschutzmittel für die Lippen [Kosmetika]; Sunblocker in Form von Ölen [Kosmetika]; Grundierungen für Finger- und Zehennägel [Kosmetika] sind den Waren Chemische Erzeugnisse für gewerbliche Zwecke, nämlich Rohstoffe und Zusatzstoffe zur Herstellung kosmetischer Mittel der älteren Marke unähnlich.

Zwar besteht ein Berührungspunkt zwischen den angefochtenen Waren in der Klasse 3 und den Waren der älteren Marke in der Klasse 1 dahingehend, dass die letzteren Rohstoffe und Zusatzstoffe zur Herstellung der ersteren sein können. Dies ist jedoch keine hinreichende Grundlage für die Bejahung einer Ähnlichkeit. Denn nach der Rechtsprechung unterscheiden sich Rohmaterialien, die einem Verarbeitungsprozess unterzogen werden, hinsichtlich Art, Ziel und Zweckbestimmung wesentlich von den Fertigerzeugnissen, die aus diesen Rohmaterialien hergestellt sind (siehe in diesem Sinne Urteil vom 03/05/2012, T-270/10, Conceria Kara gegen HABM, Dima [KARRA], ECLI:EU:T:2012:212, § 53). Zudem ergänzen sie einander nicht, weil das eine aus dem anderen hergestellt wird und Rohmaterialien in der Regel zur Verwendung in der Industrie anstatt zum Direkterwerb durch den Endverbraucher bestimmt sind (Urteil vom 09/04/2014, T-288/12, Zytel, EU:T:2014:196, § 39-43).

Angefochtene Dienstleistungen in Klasse 44

Die angefochtenen Dienstleistungen Gesundheitspflege für den Menschen; Hygiene- und Schönheitspflege für den Menschen; Beratungen in Bezug auf Kosmetika; Kosmetikbehandlungen für Gesicht und Körper sind den Waren Chemische Erzeugnisse für gewerbliche Zwecke, nämlich Rohstoffe und Zusatzstoffe zur Herstellung kosmetischer Mittel der älteren Marke unähnlich.

Sie sind von ihrer Natur her unterschiedlich, da Dienstleistungen immaterieller Natur sind, während Waren materieller Art sind; sie dienen aber auch unterschiedlichen Bedürfnissen. Die angefochtenen Dienstleistungen dienen der Schönheitspflege und Beratung diesbezüglich und richten sich an ein allgemeines Publikum. Die Waren der älteren Marke hingegen dienen der gewerblichen Herstellung kosmetischer Mittel und richten sich an professionelle Hersteller von Kosmetika. Die Waren und Dienstleistungen unterscheiden sich hinsichtlich Natur, Zweck, Zielgruppe und üblicher betrieblicher Herkunft. Sie stehen weder miteinander in Konkurrenz noch ergänzen sie einander.

  1. Relevantes Publikum – Aufmerksamkeitsgrad

Der Durchschnittsverbraucher der betreffenden Warenart gilt als durchschnittlich gut informiert, aufmerksam und verständig. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Aufmerksamkeitsgrad des Durchschnittsverbrauchers je nach der betreffenden Art von Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann.

Bei den fraglichen Waren handelt es sich um spezielle Waren für gewerbliche Verbraucher im Bereich Kosmetik mit besonderen beruflichen Kenntnissen oder besonderem beruflichem Fachwissen. Die Waren können spezifische chemische Eigenschaften aufweisen, die für die weitere Verarbeitung bedeutsam sind und auf die der Verkehr dementsprechend besonders achten wird. Weiterhin können chemische  Stoffe zur Herstellung von Kosmetika auch relativ hochpreisig sein. Der Aufmerksamkeitsgrad wird daher erhöht sein.

  1. Die Zeichen

Phytosan

Physan

Ältere Marke

Angefochtene Marke

Das relevante Gebiet ist die Europäische Union.

„Bei dieser umfassenden Beurteilung ist hinsichtlich der Ähnlichkeit der betreffenden Marken im Bild, im Klang oder in der Bedeutung auf den Gesamteindruck abzustellen, den die Marken hervorrufen, wobei insbesondere die sie unterscheidenden und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind“ (11/11/1997, C251/95, Sabèl, EU:C:1997:528, § 23).

Der einheitliche Charakter der Unionsmarke bedeutet, dass der Verweis auf eine ältere Unionsmarke in Widerspruchsverfahren gegen die Anmeldung zur Eintragung einer Unionsmarke statthaft ist, die den Schutz der ersten Marke beeinträchtigen würde, wenn auch nur in Bezug auf die Wahrnehmung von Verbrauchern in Teilen der Europäischen Union (18/09/2008, C514/06 P, Armafoam, EU:C:2008:511, § 57). Dies gilt analog für internationale Registrierungen mit Benennung der Europäischen Union. Für die Zurückweisung der angefochtenen Anmeldung ist es daher hinreichend, dass nur für einen Teil des relevanten Publikums der Europäischen Union Verwechslungsgefahr besteht.

Der Wortbestandteil „Phyto“ kann im Sinne eines (ursprünglich aus dem Griechischen stammenden) Präfixes, der eine Pflanze bzw. Vegetation anzeigt verstanden werden, so z.B. im Englischen (phyto- , combining form, indicating a plant or vegetation; Collins English Dictionary) 

Daher hält es die Widerspruchsabteilung für angemessen, den Vergleich der Zeichen auf den Teil des relevanten Publikums, der Englisch spricht, zu richten.

Der Wortbestandteil „Phyto“ könnte aufgrund der oben dargelegten Bedeutung mit einer pflanzlichen Herkunft der fraglichen Waren assoziiert werden und ist daher nur schwach kennzeichnungskräftig.

Der Wortbestandteil „san“ hat aus Sicht des englischsprachigen Verkehrs indes keine Bedeutung. Dass dieser, wie die Anmelderin behauptet, an das Wort „sano“ angelehnt sei und „in Europa bekannterweise im Allgemeinen für „gesund“ verwendet wird“ ist unbelegt und erscheint aus Sicht des englischsprachigen Verkehrs auch nicht naheliegend, denn das übliche englische Wort für gesund lautet „healthy“. Damit ist dieser Bestandteil kennzeichnungskräftig.

Die ältere Marke hat für das relevante Publikum keine Bedeutung und ist somit kennzeichnungskräftig.

Bildlich stimmen die Zeichen in Bezug auf die Buchstabenfolgen P-H-Y und S-A-N zu Beginn und am Ende der Zeichen überein. Sie unterscheiden sich jedoch in Bezug auf die Buchstabenfolge T-O im Mittelteil der älteren Marke, welche keine Entsprechung in dem angefochtenen Zeichen hat.

Die Zeichen sind daher bildlich durchschnittlich ähnlich.

In klanglicher Hinsicht gelten die vorherigen Ausführungen entsprechend in Hinblick auf den Klang der Buchstaben der Zeichen. Die ältere Marke wird in drei Silben ausgesprochen (PHY/TO/SAN), das angefochtene Zeichen in zwei Silben (PHY/SAN).

Die Zeichen sind daher klanglich durchschnittlich ähnlich.

Begrifflich wird das in der älteren Marke enthaltene Element „Phyto“ – obwohl das Zeichen als Ganzes gesehen keinerlei Bedeutung für das Publikum im relevanten Gebiet hat – mit der oben dargelegten Bedeutung in Verbindung gebracht. Das angefochtene Zeichen hat keinerlei Bedeutung, so dass die Zeichen begrifflich nicht ähnlich sind.

Da beim Vergleich der Zeichen zumindest ein ähnlicher Aspekt festgestellt wurde, wird die Prüfung der Verwechslungsgefahr fortgesetzt.

  1. Kennzeichnungskraft der älteren Marke

Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist einer der Faktoren, die bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen sind.

Laut der Widersprechenden besitzt die ältere Marke einen hohen Kennzeichnungsgrad aufgrund der langen und intensiven Benutzung in der Europäischen Union für alle Waren, für welche sie eingetragen ist, nämlich Chemische Erzeugnisse für gewerbliche Zwecke, nämlich Rohstoffe und Zusatzstoffe zur Herstellung kosmetischer Mittel. Diese Behauptung muss sorgfältig untersucht werden, da die Kennzeichnungskraft der älteren Marke bei der Beurteilung einer Verwechslungsgefahr berücksichtigt werden muss. Tatsächlich ist die Verwechslungsgefahr umso größer, je größer sich die Kennzeichnungskraft der älteren Marke darstellt. Somit genießen Marken mit hoher Kennzeichnungskraft aufgrund ihrer Bekanntheit auf dem Markt einen umfassenderen Schutz als Marken, deren Kennzeichnungskraft geringer ist (29/09/1998, C-39/97, Canon, EU:C:1998:442, § 18).

Die Widersprechende reichte die folgenden Beweismittel ein:

Auszüge einer Webseite, zehn Seiten, englisch, mit deutscher Übersetzung:

Diese zeigen ein geschwungenes Glasgefäß unter der Überschrift „PHYTOSAN™ K“ mit Produktangaben (Anlage A2), Links zu Webseiten, die nach Angaben der Widersprechenden Kontaktadressen für den Vertrieb enthalten (Anlage A3) sowie eine Auflistung von Ländernamen (Anlage A4), in welchen die vorgenannten Kontakte bestehen sollen.

Nach Prüfung des oben genannten Materials kommt die Widerspruchsabteilung zu dem Schluss, dass die von der Widersprechenden eingereichten Beweismittel nicht belegen, dass die ältere Marke durch ihre Benutzung einen hohen Grad an Kennzeichnungskraft gewonnen hat.

Die vorgelegten Unterlagen sind nach Umfang und Inhalt offensichtlich vollkommen unzureichend um eine lange und intensive Nutzung der Marke zu belegen. Es fehlen jegliche Nachweise hinsichtlich Benutzungszeitraum, Umsätzen, Marktanteil, Bekanntheitsgrad der Marke am relevanten Markt, Werbeaufwand, etc.

Folglich stützt sich die Beurteilung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke auf ihre Kennzeichnungskraft von Haus aus. Im vorliegenden Fall hat die ältere Marke als Ganzes, trotz des Vorhandenseins eines schwach kennzeichnungskräftigen Elements, wie oben unter c) dargelegt, aus der Perspektive des Publikums im relevanten Gebiet keine Bedeutung im Hinblick auf die gegenständlichen Waren. Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist folglich als normal anzusehen.

  1. Umfassende Beurteilung, andere Argumente und Schlussfolgerung

Die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr impliziert eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen. So kann ein geringer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (29/09/1998, C-39/97, Canon, EU:C:1998:442, § 17).

Die Zeichen sind bildlich und klanglich durchschnittlich ähnlich und die Waren und Dienstleistungen sind teilweise identisch und teilweise unähnlich. Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist normal und der Aufmerksamkeitsgrad des relevanten Verkehrs ist erhöht.

Angesichts der festgestellten Warenidentität und der identischen Anfangs- und  Schlussteile der Zeichen erscheint die Abweichung im Mittelteil der Zeichen nicht hinreichend um eine Verwechslungsgefahr sicher auszuschließen. Denn selbst für ein Publikum, das einen hohen Aufmerksamkeitsgrad an den Tag legt, bietet sich nur selten die Möglichkeit, verschiedene Marken unmittelbar miteinander zu vergleichen, sondern es muss sich auf das unvollkommene Bild verlassen, das es von ihnen im Gedächtnis behalten hat (21/11/2013, T443/12, ancotel, EU:T:2013:605, § 54).

Die Möglichkeit, dass zumindest Teile des relevanten Verkehrs die ältere Marke aufgrund des Wortbeginns „PHYTO“ mit Pflanzen assoziieren könnten, wohingegen das angefochtene Zeichen keine solche Assoziation hervorruft, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn der Aussagegehalt der Marke in ihrer Gesamtheit bleibt unklar und auch dem angefochtenen Zeichen fehlt es an einer klaren Bedeutung, welche die schriftbildlichen und klanglichen Ähnlichkeiten zwischen den Zeichen neutralisieren, und eine sichere Unterscheidung ermöglichen könnte.

Unter Berücksichtigung aller oben genannten Punkte kommt die Widerspruchsabteilung zu dem Schluss, dass beim englischsprachigen Teil des Publikums Verwechslungsgefahr besteht; und aus diesem Grund der Widerspruch teilweise auf Grundlage der Unionsmarkeneintragung Nr. 3 205 416 der Widersprechenden begründet ist. Wie oben in Abschnitt c) dieser Entscheidung erwähnt, ist es für die Zurückweisung der angefochtenen Anmeldung hinreichend, dass nur für einen Teil der maßgeblichen Verkehrskreise der Europäischen Union Verwechslungsgefahr besteht.

Aus dem Obigen folgt, dass die angefochtene Marke für die Waren zurückgewiesen werden muss, bezüglich derer festgestellt wurde, dass sie mit denen der älteren Marke identisch sind.

Die übrigen angefochtenen Waren und Dienstleistungen sind unähnlich. Da die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen eine notwendige Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 8 Absatz 1 UMV ist, muss der Widerspruch, soweit er sich gegen diese Waren und Dienstleistungen richtet, auf der Grundlage dieses Artikels zurückgewiesen werden.

Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass der Widerspruch, insoweit er auf Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a UMV basiert, ebenfalls hinsichtlich der noch verbleibenden Waren und Dienstleistungen zurückgewiesen werden muss, weil die Zeichen und die  Waren und Dienstleistungen offensichtlich nicht identisch sind.

Die Widersprechende hat ihren Widerspruch auch auf die folgende ältere Marke gestützt:

  • Deutsche Markeneintragung Nr. 2 103 451 „Phytosan“ (Wort)

Da diese Marke mit der verglichenen identisch ist und denselben Umfang von Waren erfasst, kann das Ergebnis in Bezug auf die  Waren und Dienstleistungen, für die der Widerspruch bereits zurückgewiesen wurde, kein anderes sein. Verwechslungsgefahr hinsichtlich jener Waren und Dienstleistungen besteht also nicht.

BEKANNTHEIT – ARTIKEL 8 ABSATZ 5 UMV

Gemäß Artikel 8 Absatz 5 UMV ist auf Widerspruch der Inhaberin einer eingetragenen älteren Marke im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 UMV die angefochtene Marke auch dann von der Eintragung ausgeschlossen, wenn sie mit einer älteren Marke identisch ist oder dieser ähnlich ist, ungeachtet dessen, ob die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen werden soll, mit denen identisch oder denen ähnlich oder nicht ähnlich sind, für die eine ältere Marke eingetragen ist, wenn es sich im Falle einer älteren Unionsmarke um eine in der Union bekannte Marke und im Falle einer älteren nationalen Marke um eine in dem betreffenden Mitgliedstaat bekannte Marke handelt und die Benutzung der angemeldeten Marke die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der älteren Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen würde.

Demnach sind die in Artikel 8 Absatz 5 UMV genannten Eintragungshindernisse nur unter folgenden Voraussetzungen zutreffend:

  • Die Zeichen müssen entweder identisch oder ähnlich sein.

  • Die Marke der Widersprechenden muss bekannt sein. Die Bekanntheit muss zudem vor der Anmeldung der angefochtenen Marke bestanden haben; sie muss in dem betreffenden Gebiet und im Zusammenhang mit den Waren und/oder Dienstleistungen bestehen, aufgrund derer der Widerspruch eingelegt wurde.

  • Gefahr einer Rechtsverletzung: Die Benutzung der angefochtenen Marke würde die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der älteren Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzen oder beeinträchtigen.

Die vorgenannten Anforderungen sind kumulativ; ist daher eine der Anforderungen nicht erfüllt, so führt dies zur Zurückweisung des Widerspruchs nach Artikel 8 Absatz 5 UMV (16/12/2010, T-345/08, & T-357/08, Botolist / Botocyl, EU:T:2010:529, § 41). Allerdings ist zu beachten, dass die Einhaltung aller vorgenannten Voraussetzungen unter Umständen nicht ausreicht. So kann der Widerspruch auch dann zurückgewiesen werden, wenn die Anmelderin einen rechtfertigenden Grund für die Benutzung der angefochtenen Marke vorträgt.

Im vorliegenden Fall wurde von der Anmelderin kein rechtfertigender Grund für die Benutzung der angefochtenen Marke geltend gemacht. In Ermangelung anderweitiger Angaben ist daher davon auszugehen, dass kein rechtfertigender Grund besteht.

  1. Die Zeichen

Die Zeichen wurden bereits vorher im Rahmen der Prüfung der Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b UMV verglichen. Es wird auf die entsprechenden Feststellungen verwiesen, die nach Artikel 8 Absatz 5 UMV gleichfalls gültig sind.

  1. Bekanntheit der älteren Marke

Die von der Widersprechenden vorgelegten Beweismittel für die Bekanntheit und die hohe Unterscheidungskraft der älteren Marke wurden bereits weiter oben unter dem Widerspruchsgrund des Artikels 8 Absatz 1 Buchstabe b UMV geprüft. Es wird auf die entsprechenden Feststellungen verwiesen, die nach Artikel 8 Absatz 5 UMV gleichfalls gültig sind. Eine Bekanntheit der Marke konnte nicht nachgewiesen werden.

Wie weiter oben dargestellt, ist die Bekanntheit der älteren Marke Voraussetzung für die Stattgabe des Widerspruchs nach Artikel 8 Absatz 5 UMV. Da die Bekanntheit der älteren Marke nicht festgestellt wurde, ist eine der in Artikel 8 Absatz 5 UMV genannten notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt und der Widerspruch muss auf der Grundlage dieses Artikels zurückgewiesen werden.

Dies gilt gleichermaßen für die deutsche Markeneintragung Nr. 2 103 451 „Phytosan“ (Wort) da diese Marke mit der verglichenen identisch ist und denselben Umfang von Waren erfasst.

KOSTEN

Gemäß Artikel 85 Absatz 1 UMV trägt die im Widerspruchsverfahren unterliegende Partei die der anderen Partei entstandenen Gebühren und Kosten. Gemäß Artikel 85 Absatz 2 UMV beschließt die Widerspruchsabteilung eine andere Kostenteilung, soweit die Beteiligten jeweils in einem oder mehreren Punkten unterliegen oder soweit es die Billigkeit erfordert.

Da der Widerspruch nur für Teile der angefochtenen Waren Erfolg hat, sind beide Beteiligten jeweils in einem oder mehreren Punkten unterlegen. Daher trägt jede Partei ihre eigenen Kosten.

Die Widerspruchsabteilung

Lars HELBERT

Tobias KLEE

Martin EBERL

Gemäß Artikel 59 UMV kann jeder Beteiligte, der durch diese Entscheidung beschwert ist, gegen diese Entscheidung Beschwerde einlegen. Gemäß Artikel 60 UMV ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieser Entscheidung schriftlich beim Amt einzulegen. Die Beschwerdeschrift muss in der Verfahrenssprache eingereicht werden, in der die Entscheidung, die Gegenstand der Beschwerde ist, ergangen ist. Innerhalb von vier Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung ist die Beschwerde schriftlich zu begründen. Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr von 720 EUR entrichtet worden ist.

Leave Comment