WIDERSPRUCH Nr. B 2 697 178
Reiner Weidinger, Rosenstraße 4, 74544 Michelbach/Bilz, Deutschland (Widersprechender), vertreten durch Patentanwälte Ruff, Wilhellm, Beier, Dauster & Partner mbB, Kronenstr. 30, 70174 Stuttgart, Deutschland (zugelassener Vertreter)
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HST GmbH Oberflächenschutz in Perfektion, Unter Lau 12, 72587 Römerstein, Deutschland (Anmelderin), vertreten durch Dr. Kroll & Partner, Eberhardstr. 1, 72764 Reutlingen, Deutschland (zugelassener Vertreter).
Am 19/05/2017 ergeht durch die Widerspruchsabteilung die folgende
ENTSCHEIDUNG:
1. Der Widerspruch Nr. B 2 697 178 wird in seiner Gesamtheit zurückgewiesen.
2. Der Widersprechende trägt die Kosten, die auf 300 EUR festgesetzt werden.
BEGRÜNDUNG:
Der Widersprechende legte Widerspruch gegen alle Dienstleistungen der Unionsmarkenanmeldung Nr. 15 033 046 ein, und zwar gegen alle Dienstleistungen der Klasse 40. Der Widerspruch beruht auf der Unionsmarkeneintragung Nr. 87 783. Der Widersprechende berief sich auf Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b UMV.
VERWECHSLUNGSGEFAHR – ARTIKEL 8 ABSATZ 1 BUCHSTABE b UMV
Verwechslungsgefahr liegt vor, wenn die Gefahr besteht, dass das Publikum der Auffassung sein könnte, die mit den infrage stehenden Marken gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen stammten von demselben Unternehmen oder gegebenenfalls von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen. Ob eine Verwechslungsgefahr besteht, hängt bei einer umfassenden Beurteilung von der Abwägung mehrerer, voneinander abhängiger Faktoren ab. Zu diesen Faktoren gehören die Ähnlichkeit der Zeichen, die Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen, die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, die kennzeichnenden und dominierenden Elemente der in Konflikt stehenden Zeichen sowie das relevante Publikum.
- Die Dienstleistungen
Der Widerspruch basiert auf den folgenden Dienstleistungen:
Klasse 40: Veredelung und Beschichtung von Werkstoffoberflächen, insbesondere bei Metallen, Kunststoffen, kohlenstoffaser-verstärkten Kunststoffen (CFK), glasfaser-verstärkten Kunststoffen (GFK), Papier und Pappe.
Der Widerspruch richtet sich gegen die folgenden Dienstleistungen:
Klasse 40: Materialbearbeitung mit Chemikalien; Polieren von Oberflächen [Materialbearbeitung]; Aufbringen von Oberflächenschutzbeschichtungen an Maschinen und Geräten; Behandlung und Beschichtung von Metalloberflächen.
Eine Auslegung des Wortlautes des Dienstleistungsverzeichnisses ist erforderlich, um den genauen Umfang der Schutzbereiche dieser Dienstleistungen zu bestimmen.
Aus der Verwendung des Wortes „insbesondere“ im Waren- und Dienstleistungsverzeichnis der Widersprechenden ist ersichtlich, dass die genannten Waren und Dienstleistungen lediglich beispielhaft für die in der Kategorie erfassten genannt werden und sich der Schutz nicht auf sie beschränkt. Anders ausgedrückt, dieses Wort leitet eine nicht erschöpfende Liste von Beispielen ein (siehe Urteil vom 09/04/2003, T-224/01, Nu-Tride, EU:T:2003:107).
Angefochtene Dienstleistungen in Klasse 40
Einige der angefochtenen Dienstleistungen sind mit den Dienstleistungen identisch, auf denen der Widerspruch beruht. Aus Gründen der Verfahrensökonomie nimmt die Widerspruchsabteilung keinen vollständigen Vergleich der oben aufgeführten Dienstleistungen vor. Die Prüfung des Widerspruchs erfolgt, als ob alle angefochtenen Dienstleistungen zu denjenigen der älteren Marken identisch wären.
- Relevantes Publikum – Aufmerksamkeitsgrad
Der Durchschnittsverbraucher der betreffenden Warenart gilt als durchschnittlich gut informiert, aufmerksam und verständig. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Aufmerksamkeitsgrad des Durchschnittsverbrauchers je nach der betreffenden Art von Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann.
Im vorliegenden Fall wenden sich die für identisch befundenen Dienstleistungen an Geschäftskunden mit besonderen beruflichen Kenntnissen oder besonderem beruflichem Fachwissen. Es wird ein hoher Aufmerksamkeitsgrad zugrunde gelegt.
- Die Zeichen
AST
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HST
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Ältere Marke |
Angefochtene Marke |
Das relevante Gebiet ist die Europäische Union.
„Bei dieser umfassenden Beurteilung ist hinsichtlich der Ähnlichkeit der betreffenden Marken im Bild, im Klang oder in der Bedeutung auf den Gesamteindruck abzustellen, den die Marken hervorrufen, wobei insbesondere die sie unterscheidenden und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind“ (11/11/1997, C–251/95, Sabèl, EU:C:1997:528, § 23).
Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Zeichen wird eine Analyse, ob die übereinstimmenden Bestandteile beschreibend, anspielend oder anderweitig schwach sind, vorgenommen, um den Umfang zu bewerten, in dem diese übereinstimmenden Bestandteile eine geringere oder eine größere Fähigkeit haben, auf die betriebliche Herkunft hinzuweisen. Es kann schwieriger zu bestimmen sein, dass das Publikum bezüglich der Herkunft getäuscht werden könnte, wenn dies auf Ähnlichkeiten zurückzuführen ist, die allein nicht kennzeichnungskräftigen Elementen zuzuordnen sind.
Die ältere Marke ist die aus drei Buchstaben bestehende Wortmarke „AST“, wiedergegeben in Großbuchstaben. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass eine Wortmarke in allen Standardschreibweisen als geschützt gilt.
Die angefochtene Marke ist eine Wortmarke, die aus den Buchstaben „HST“ gebildet ist.
Die ältere Marke „AST“ wird von einem Teil des maßgeblichen Publikums, nämlich vom deutschsprachigen Verbraucher, mit dem Bedeutungsgehalt „stärkerer Zweig eines Baumes [der unmittelbar aus dem Stamm hervorgeht]“ (vgl. www.duden.de) verstanden, während sie für die übrigen Verkehrskreise keinen Bedeutungsgehalt aufweist. Selbst wenn das Wortelement von einem Teil des relevanten Verkehrs verstanden wird, ist die Bedeutung für die verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen nicht beschreibend, anspielend oder anderweitig schwach. Daher ist die ältere Marke für den gesamten Verkehr normal kennzeichnungskräftig.
Der deutschsprachige Teil des relevanten Publikums wird das ältere Zeichen „AST“ begrifflich mit einem stärkeren Zweig eines Baumes in Verbindung bringen. Demgegenüber weist die angefochtene Marke keinen Bedeutungsgehalt auf. Da eines der Zeichen keine Bedeutung hat, sind die Zeichen für diesen Teil des relevanten Publikums begrifflich nicht ähnlich.
Für die restlichen Verkehrskreise hat in begrifflicher Hinsicht keines der beiden Zeichen im relevanten Gebiet eine Bedeutung. Da ein begrifflicher Vergleich nicht möglich ist, beeinflusst der begriffliche Aspekt die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit für die restlichen Verkehrskreise nicht.
Bildlich stimmen die Zeichen in Bezug auf die Buchstaben „*ST“ überein. Sie unterscheiden sich jedoch in Bezug auf ihre jeweiligen Anfangsbuchstaben „A“ in der älteren Marke bzw. „H“ im angefochtenen Zeichen.
Die Wortelemente bestehen jeweils aus drei Buchstaben. Die Länge der Zeichen kann sich auf die Wahrnehmung der Unterschiede zwischen ihnen auswirken. Je kürzer ein Zeichen ist, desto leichter fällt es dem Publikum, alle seine einzelnen Elemente wahrzunehmen. Daher führen bei kurzen Wörtern schon geringe Abweichungen häufig zu einem abweichenden Gesamteindruck. Umgekehrt werden Abweichungen bei längeren Zeichen vom Publikum seltener wahrgenommen.
Da die Zeichen insbesondere an ihren Anfängen unterschiedlich sind und insgesamt einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorrufen, sind die Zeichen bildlich geringfügig ähnlich.
In klanglicher Hinsicht wird die ältere Marke entweder als „AST“ oder, falls es als Abkürzung buchstabiert wird, „A-ES-TE“ ausgesprochen (beispielsweise vom deutschsprachigen Publikum) oder unter Bezugnahme auf die jeweiligen Buchstaben: „ÄI-ES-TI“ (vom englischsprachigen Publikum), „A-ESE-TE“ (vom spanischsprachigen Publikum) und entsprechend in den jeweiligen Sprachen des relevanten Gebietes. Demgegenüber wird die angefochtene Marke analog unter Bezugnahme auf die einzelnen Buchstaben ausgesprochen: „HA-ES-TE“ (deutschsprachiges Publikum), „ÄITSCH-ES-TI“ (englischsprachiges Publikum) „HACHE-ESE-TE“ (spanischsprachiges Publikum), um einige Beispiele zu nennen. Entsprechend den jeweiligen Ausspracheregeln stimmt die Aussprache der Zeichen im Klang der zweiten und dritten Buchstaben „ST“ in den beiden Zeichen überein. Die Aussprache unterscheidet sich im Klang der jeweiligen Anfangsbuchstaben „A“ des älteren Zeichens, dem der Klang des Buchstabens „H“ der angefochtenen Marke gegenüber steht. Je nach Sprache variiert daher die klangliche Ähnlichkeit zwischen durchschnittlich (beispielsweise für das deutschsprachige Publikum) und unterdurchschnittlich (beispielsweise für das spanischsprachige Publikum).
Da beim Vergleich der Zeichen zumindest ein ähnlicher Aspekt festgestellt wurde, wird die Prüfung der Verwechslungsgefahr fortgesetzt.
- Kennzeichnungskraft der älteren Marke
Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist einer der Faktoren, die bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen sind.
Die Widersprechende machte nicht ausdrücklich geltend, dass ihre Marke aufgrund intensiver Benutzung oder Bekanntheit über eine besondere Kennzeichnungskraft verfügt.
Folglich stützt sich die Beurteilung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke auf ihre Kennzeichnungskraft von Haus aus. Im vorliegenden Fall hat die ältere Marke als Ganzes aus der Perspektive des Publikums im relevanten Gebiet keine Bedeutung im Hinblick auf die gegenständlichen Waren und Dienstleistungen. Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist folglich als normal anzusehen.
- Umfassende Beurteilung, andere Argumente und Schlussfolgerung
Der Vergleich der einander gegenüberstehenden Dienstleistungen erfolgte aufgrund der Annahme, dass alle angefochtenen Dienstleistungen mit denen identisch sind, die durch die ältere Marke erfasst werden.
Die sich gegenüber stehenden Zeichen sind schriftbildlich geringfügig ähnlich und klanglich durchschnittlich bzw. unterdurchschnittlich ähnlich. In begrifflicher Hinsicht weist die ältere Marke lediglich für einen Teil des Verkehrs einen Bedeutungsgehalt auf, während sie für die übrigen Verkehrskreise als reine Phantasiebezeichnungen wahrgenommen wird, weswegen der begriffliche Aspekt die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit für die restlichen Verkehrskreise nicht beeinflusst.
Beide einander gegenüberstehenden Zeichen bestehen aus drei Buchstaben; bei beiden handelt es sich daher um kurze Marken, und die Tatsache, dass sie sich nur bei einem Buchstaben unterscheiden, gilt als relevanter, zu berücksichtigender Faktor bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen.
Insgesamt führen die aufgezeigten Unterschiede dazu, dass die Zeichen einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorrufen. Zwar nehmen Verbraucher kurze Zeichen in ihrer Gesamtheit wahr, jedoch fallen die Unterschiede in einem Buchstaben aufgrund der Kürze der Zeichen eher auf, insbesondere, wenn sich diese am jeweiligen Zeichenanfang befinden, wo sie eine besondere Wirkungskraft auf den Verbraucher ausüben (23/10/2002,T-388/00, ELS, EU:T:2002, sowie 23/05/2007, T-342/05, COR, EU:T:2007). Zudem wird das Publikum den Zeichen bei der Auswahl der Dienstleistungen eine erhöhte Aufmerksamkeit schenken.
Der Widersprechende trägt vor, dass zwischen kurzen Zeichen nur dann Verwechslungsgefahr gegeben sei, wenn diese Unterschiede für die entsprechenden Verkehrskreise deutlich zu erkennen seien. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben, da die beiden Buchstaben „A“ und „H“ sowohl in schriftbildlicher als auch in klanglicher Hinsicht hochgradig ähnlich seien.
Die Widerspruchsabteilung kann sich dem Vorbringen der Anmelderin nicht anschließen. Die angefochtene Marke besteht aus drei Buchstaben, die keinen Bedeutungsgehalt aufweisen. Daher wird der Verkehr die Buchstaben im Einzelnen aussprechen, wie bereits im klanglichen Vergleich dargelegt wurde. Die Unterschiede in den Anfangsbuchstaben „A“ bzw. „H“ führen dazu, dass die Zeichen klanglich ein deutlich unterschiedliches Klangbild ergeben, das sich zudem am in der Regel stärker beachteten Zeichenanfang befindet. Auch in schriftbildlich Hinsicht handelt es sich bei den einander gegenüberstehenden Buchstaben „A“ und „H“ um sich deutlich voneinander unterscheidenden Buchstaben, weswegen entgegen dem Vorbringen der Widersprechenden keineswegs von einer hochgradigen Ähnlichkeit ausgegangen werden kann. Eine etwaige erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke, die zu einem abweichenden Ergebnis führen könnte, wurde zudem weder geltend gemacht noch nachgewiesen.
Aus den vorgenannten Gründen sind die Unterschiede zwischen den Zeichen ausreichend, um das Anmeldezeichen nicht mit der Widerspruchsmarke zu verwechseln oder gedanklich in Verbindung zu bringen.
Unter Berücksichtigung aller oben genannten Punkte kommt die Widerspruchsabteilung zu dem Schluss, dass seitens der Öffentlichkeit keine Verwechslungsgefahr besteht. Dies wäre selbst dann der Fall, wenn die Waren und Dienstleistungen identisch wären. Daher muss der Widerspruch zurückgewiesen werden.
KOSTEN
Gemäß Artikel 85 Absatz 1 UMV trägt die im Widerspruchsverfahren unterliegende Partei die der anderen Partei entstandenen Gebühren und Kosten.
Da die Widersprechende die unterliegende Partei ist, trägt sie alle der Anmelderin in diesem Verfahren entstandenen Kosten.
Gemäß Regel 94 Absätze 3 und 7 Buchstabe d Ziffer ii UMDV, bestehen die der Anmelderin zu erstattenden Kosten aus den Vertretungskosten, für die die in der Verordnung festgelegten Höchstsätze festzusetzen sind.
Die Widerspruchsabteilung
Konstantinos MITROU
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Sigrid DICKMANNS |
Claudia MARTINI
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Gemäß Artikel 59 UMV kann jeder Beteiligte, der durch diese Entscheidung beschwert ist, gegen diese Entscheidung Beschwerde einlegen. Gemäß Artikel 60 UMV ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieser Entscheidung schriftlich beim Amt einzulegen. Die Beschwerdeschrift muss in der Verfahrenssprache eingereicht werden, in der die Entscheidung, die Gegenstand der Beschwerde ist, ergangen ist. Innerhalb von vier Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung ist die Beschwerde schriftlich zu begründen. Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr von 720 EUR entrichtet worden ist.
Die Festsetzung des Betrags der zu erstattenden Kosten kann nur auf Antrag durch eine Entscheidung der Widerspruchsabteilung überprüft werden. Gemäß Regel 94 Absatz 4 UMDV ist ein solcher Antrag innerhalb eines Monats nach Zustellung der Kostenfestsetzung einzureichen; er gilt erst als gestellt, wenn die Gebühr für die Überprüfung der Kostenfestsetzung von 100 EUR (Anhang I Abschnitt A Nummer 33 UMV) entrichtet worden ist.