Clevital | Decision 2729799

WIDERSPRUCH Nr. B 2 729 799

Prof. Dr. Fischer AG, Am Egg 1, 88079 Kressbronn, Deutschland (Widersprechende), vertreten durch Patentanwaltskanzlei Dr. Riebling, Rennerle 10, 88131 Lindau, Deutschland (zugelassener Vertreter)

g e g e n

Philippe Haslanger, August-Macke Str. 7, 89520 Heidenheim, Deutschland (Anmelder).

Am 22.08.2017 ergeht durch die Widerspruchsabteilung die folgende

ENTSCHEIDUNG:

1.        Dem Widerspruch Nr. B 2 729 799 wird für alle angefochtenen Waren stattgegeben.

2.        Die Unionsmarkenanmeldung Nr. 15 441 074 wird in ihrer Gesamtheit zurückgewiesen.

3.        Der Anmelder trägt die Kosten, die auf 620 EUR festgesetzt werden.

BEGRÜNDUNG:

Die Widersprechende legte Widerspruch gegen alle Waren der Unionsmarkenanmeldung Nr. 15 441 074 für die Wortmarke „Clevital“ ein, und zwar gegen alle Waren der Klasse 5. Der Widerspruch beruht auf der Unionsmarkeneintragung Nr. 12 000 147 für die Wortmarke „Cellvital“. Die Widersprechende berief sich auf Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b UMV.

BENUTZUNGSNACHWEIS

Gemäß Artikel 42 Absätze 2 und 3 UMV hat die Widersprechende auf Verlangen des Anmelders den Nachweis zu erbringen, dass sie innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Anmeldetag oder ggf. dem Prioritätstag der angefochtenen Marke die ältere Marke in den Gebieten, in denen sie geschützt ist, in Verbindung mit den Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, und auf die sie sich zur Begründung ihres Widerspruchs beruft, ernsthaft benutzt hat oder dass berechtigte Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen. Für die frühere Marke gilt eine Benutzungsverpflichtung, wenn sie zum betreffenden Datum mindestens fünf Jahre lang eingetragen war.

Gemäß dieser Bestimmung wird der Widerspruch bei Fehlen eines solchen Nachweises zurückgewiesen.

Der Anmelder hat von der Widersprechenden den Benutzungsnachweis der Marke, auf der der Widerspruch beruht, der Unionsmarke Nr. 12 000 147 verlangt.

Im vorliegenden Fall ist der Anmeldetag der angefochtenen Marke der 14/05/2016.

Die ältere Marke Nr. 12 000 147 wurde am 24/04/2015 eingetragen. Deshalb ist der Antrag auf Nachweis der Benutzung unzulässig.

VERWECHSLUNGSGEFAHR – ARTIKEL 8 ABSATZ 1 BUCHSTABE b UMV

Verwechslungsgefahr liegt vor, wenn die Gefahr besteht, dass das Publikum der Auffassung sein könnte, die mit den infrage stehenden Marken gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen stammten von demselben Unternehmen oder gegebenenfalls von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen. Ob eine Verwechslungsgefahr besteht, hängt bei einer umfassenden Beurteilung von der Abwägung mehrerer, voneinander abhängiger Faktoren ab. Zu diesen Faktoren gehören die Ähnlichkeit der Zeichen, die Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen, die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, die kennzeichnenden und dominierenden Elemente der in Konflikt stehenden Zeichen sowie das relevante Publikum.

  1. Die Waren

Der Widerspruch basiert auf den folgenden Waren:

Klasse 5: Pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse; Hygienepräparate für medizinische Zwecke; Diätetische Lebensmittel und Erzeugnisse für medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke; Nahrungsergänzungsmittel für Menschen und Tiere; Pflaster, Verbandmaterial; Desinfektionsmittel.

        

Der Widerspruch richtet sich gegen die folgenden Waren:

Klasse 5: Diätetische Präparate und Nahrungsergänzungsmittel; Hygienepräparate und -artikel; Medizinische und veterinärmedizinische Präparate und Artikel.

        

 Angefochtene Waren in Klasse 5

Nahrungsergänzungsmittel sind identisch in beiden Warenverzeichnissen enthalten.

Die angefochtenen Diätetische Präparate überschneiden sich mit den Waren Diätetische Lebensmittel für medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke der Widersprechenden. Deshalb sind sie identisch

Die angefochtenen Waren Hygienepräparate und -artikel enthalten als weiter gefasste Kategorie die Waren Hygienepräparate für medizinische Zwecke der Widersprechenden oder überschneiden sich mit ihr. Da die Widerspruchsabteilung die weit gefasste Kategorie der angefochtenen Waren nicht von Amts wegen aufgliedern kann, gelten sie als identisch zu den Waren der Widersprechenden.

Ferner besteht entgegen dem Vorbringen des Anmelders und trotz leicht abweichenden Wortlauts Identität zwischen den angefochtenen Waren Medizinische und veterinärmedizinische Präparate und Artikel und den Waren Erzeugnisse für medizinische oder veterinärmedizinische Zwecke der Widersprechenden.

Das Argument des Anmelders, wonach die Vertriebswege der einander gegenüberstehenden Waren keine Ähnlichkeit aufweisen, da die Produkte der angefochtenen Marke lediglich über online-Shops angeboten werden, geht fehl. Dies gilt auch für das weitere Argument, wonach das Produkt der Widersprechenden eine Ganzkörperapplikation dargestellt und damit im Gegensatz zur angefochtenen Marke im physikalischen Gebiet angesetzt sei. Abzustellen ist für den Vergleich der Waren auf die Registerlage. Für den Vergleich der Waren und Dienstleistungen ist der Wortlaut der jeweiligen Verzeichnisse von Waren/Dienstleistungen maßgeblich. Jede tatsächliche oder beabsichtigte nicht im Verzeichnis der Waren/Dienstleistungen aufgeführte Benutzung ist für den Vergleich unerheblich, da dieser Vergleich Teil der Prüfung einer Verwechslungsgefahr hinsichtlich der Waren/Dienstleistungen ist, auf die der Widerspruch gestützt wird und gegen die der Widerspruch gerichtet ist; es handelt sich nicht um eine Prüfung einer tatsächlichen Verwechslung oder Verletzung (Urteil vom 16/06/2010, T-487/08, Kremezin, EU:T:2010:237, § 71).

  1. Relevantes Publikum – Aufmerksamkeitsgrad

Der Durchschnittsverbraucher der betreffenden Warenart gilt als durchschnittlich gut informiert, aufmerksam und verständig. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Aufmerksamkeitsgrad des Durchschnittsverbrauchers je nach der betreffenden Art von Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann.

Im vorliegenden Fall wenden sich die für identisch befundenen Waren sowohl an das breite Publikum als auch an medizinische oder pharmazeutische Fachkreise mit besonderem beruflichem Fachwissen.

Aus der Rechtsprechung geht hervor, dass der Aufmerksamkeitsgrad des maßgeblichen Publikums in Bezug auf pharmazeutische Erzeugnisse relativ hoch ist, unabhängig davon, ob diese verschreibungspflichtig sind oder nicht (15/12/2010, T331/09, Tolposan, EU:T:2010:520, § 26; 15/03/2012, T288/08, Zydus, EU:T:2012:124, § 36 sowie zitierte Rechtsprechung).

Insbesondere medizinisches Fachpersonal bringt bei der Verschreibung von Arzneimitteln einen hohen Grad an Aufmerksamkeit auf. Auch ein nicht spezialisiertes Publikum zeigt, unabhängig davon, ob die Arzneimittel verschreibungspflichtig sind oder nicht, einen höheren Aufmerksamkeitsgrad, da sich diese Erzeugnisse auf seine Gesundheit auswirken.

Der Aufmerksamkeitsgrad gilt entsprechend als durchschnittlich (beispielsweise für Hygienepräparate und –artikel) bis hoch (für Medizinische und veterinärmedizinische Präparate und Artikel).   

  1. Die Zeichen

Cellvital

Clevital

Ältere Marke

Angefochtene Marke

Das relevante Gebiet ist die Europäische Union.

„Bei dieser umfassenden Beurteilung ist hinsichtlich der Ähnlichkeit der betreffenden Marken im Bild, im Klang oder in der Bedeutung auf den Gesamteindruck abzustellen, den die Marken hervorrufen, wobei insbesondere die sie unterscheidenden und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind“ (11/11/1997, C251/95, Sabèl, EU:C:1997:528, § 23).

Der einheitliche Charakter der Unionsmarke bedeutet, dass der Verweis auf eine ältere Unionsmarke in Widerspruchsverfahren gegen die Anmeldung zur Eintragung einer Unionsmarke statthaft ist, die den Schutz der ersten Marke beeinträchtigen würde, wenn auch nur in Bezug auf die Wahrnehmung von Verbrauchern in Teilen der Europäischen Union (18/09/2008, C514/06 P, Armafoam, EU:C:2008:511, § 57). Für die Zurückweisung der angefochtenen Anmeldung ist es daher hinreichend, dass nur für einen Teil des relevanten Publikums der Europäischen Union Verwechslungsgefahr besteht.

Das gemeinsame Element „Vital“ im Sinne von „Vitalität“ hat nur in bestimmten Gebieten eine Bedeutung, zum Beispiel in Ländern, in denen unter anderem Deutsch, Englisch und Spanisch verstanden wird. Somit hält es die Widerspruchsabteilung für angemessen, den Vergleich der Zeichen auf den Teil des relevanten Publikums zu richten, für den dieses Element keine Bedeutung aufweist, wie beispielsweise den slowakischsprachigen Verkehr.  

Beide Zeichen weisen keine beschreibende, anspielende oder anderweitig kennzeichnungsschwache Bedeutung in Bezug auf die in Rede stehenden Waren auf uns sind daher normal kennzeichnungskräftig.

Bildlich stimmen die Zeichen in Bezug auf die Buchstabenfolge „C**EVITAL“ und die jeweils in umgekehrter Reihenfolge an zweiter und dritter Position wiedergegebenen Buchstaben „EL“ (bzw. „LE“) in den Zeichen überein. Sie unterscheiden sich jedoch in Bezug auf den zusätzlichen Buchstaben „L“ in der Zeichenmitte der älteren Marke, der keine Entsprechung in der angefochtenen Marke hat.

Vor dem Hintergrund, dass die Zeichen in acht von acht bzw. neun Buchstaben übereinstimmen, sind die Zeichen visuell stark ähnlich.

In klanglicher Hinsicht wird die ältere Marke als /Zel-vi-tal/, die angefochtene Marke als /Zle-vi-tal/ ausgesprochen. Die Aussprache der Zeichen stimmt im Klang des ersten und letzten Buchstabens der ersten Silbe, sowie in der zweiten und dritten Silbe überein. Die Aussprache unterscheidet sich lediglich im Klang der zweiten und dritten Buchstaben, die in den Zeichen in unterschiedlicher Reihenfolge enthalten sind (EL in der älteren Marke und LE in der angefochtenen Marke). Folglich weisen die Zeichen klanglich ein übereinstimmendes Klangbild und Klangrhythmus auf.

Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass die Zeichen klanglich stark ähnlich sind.  

In begrifflicher Hinsicht hat keines der beiden Zeichen für das Publikum im relevanten Gebiet eine Bedeutung. Da ein begrifflicher Vergleich nicht möglich ist, beeinflusst der begriffliche Aspekt die Beurteilung der Zeichenähnlichkeit nicht.

Da beim Vergleich der Zeichen zumindest ein ähnlicher Aspekt festgestellt wurde, wird die Prüfung der Verwechslungsgefahr fortgesetzt.

  1. Kennzeichnungskraft der älteren Marke

Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist einer der Faktoren, die bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen sind.

Die Widersprechende hat angegeben, dass ihre Marke aufgrund ihrer Verwendung als Second-Level-Domain für die Präsentation der Waren und dem Einsatz von Werbemitteln Bekanntheit erreicht hat und somit über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft verfügt. Sie machte jedoch nicht ausdrücklich geltend, dass ihre Marke aufgrund dieser Bekanntheit über eine erhöhte Kennzeichnungskraft verfügt und hat diesbezüglich auch keine Nachweise eingereicht.

Folglich stützt sich die Beurteilung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke auf ihre Kennzeichnungskraft von Haus aus. Im vorliegenden Fall hat die ältere Marke als Ganzes aus der Perspektive des Publikums im relevanten Gebiet keine Bedeutung im Hinblick auf die gegenständlichen Waren. Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist folglich als normal anzusehen.

  1. Umfassende Beurteilung, andere Argumente und Schlussfolgerung

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Vorliegen von Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen; diese Beurteilung hängt von einer Vielzahl von Umständen ab, insbesondere dem Bekanntheitsgrad der Marke auf dem Markt, der gedanklichen Verbindung, die das Publikum zwischen den beiden Zeichen aufbauen könnte sowie dem Grad der Ähnlichkeit zwischen den Zeichen und zwischen den Waren und Dienstleistungen (11/11/1997, C-251/95, Sabèl, EU:C:1997:528, § 22).

Die in Rede stehenden Waren sind identisch. Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist durchschnittlich.

Im Schriftbild stimmen die Zeichen in den Buchstaben /C***VITAL/ an identischer Position sowie in den Buchstaben /EL/ überein, wobei letztere lediglich in umgekehrter Reihenfolge in der angefochtenen Marke wiedergegeben sind. Mithin stimmen die Zeichen in acht von insgesamt neun Buchstaben der älteren Marke überein und führen dazu, dass die Zeichen an ihren Anfängen und Enden identisch sind. Die Zeichen weisen somit eine nahezu gleiche Länge auf. Sie unterscheiden sich lediglich in dem zusätzlichen Buchstaben /L/ in der Zeichenmitte der älteren Marke und darin, dass die übereinstimmenden Buchstaben /EL/ in umgekehrter Reihenfolge im Wortinneren wiedergegeben sind. Die Zeichen sind daher visuell und klanglich stark ähnlich. Zudem weist keine der Vergleichsmarken einen Bedeutungsgehalt auf, der es dem Verbraucher erleichtern könnte, die Zeichen begrifflich auseinanderzuhalten.

Folglich können die oben genannten Unterschiede nicht die visuellen und klanglichen Übereinstimmungen der Zeichen aufwiegen, zumal bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr von dem Erfahrungssatz auszugehen ist, dass der Verkehr die in Frage stehenden Kennzeichen regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleicht, sondern seine Auffassung aufgrund eines undeutlichen Erinnerungseindrucks gewinnt.

Unter Berücksichtigung aller oben genannten Punkte und insbesondere vor dem Hintergrund identischer Waren besteht beim slowakischsprachigen Publikum selbst bei hohem Aufmerksamkeitsgrad Verwechslungsgefahr. Wie oben in Abschnitt c) dieser Entscheidung erwähnt, ist es für die Zurückweisung der angefochtenen Anmeldung hinreichend, dass nur für einen Teil der maßgeblichen Verkehrskreise der Europäischen Union Verwechslungsgefahr besteht.

Daher ist der Widerspruch auf der Grundlage der Unionsmarkeneintragung Nr. 12 000 147 der Widersprechenden begründet. Daraus folgt, dass die angefochtene Marke für alle angefochtenen Waren zurückgewiesen werden muss.

KOSTEN

Gemäß Artikel 85 Absatz 1 UMV trägt die im Widerspruchsverfahren unterliegende Partei die der anderen Partei entstandenen Gebühren und Kosten.

Da der Anmelder die unterliegende Partei ist, trägt er die Widerspruchsgebühr sowie alle der Widersprechenden in diesem Verfahren entstandenen Kosten.

Gemäß Regel 94 Absätze 3, 6 und 7 Buchstabe d Ziffer i UMDV bestehen die der Widersprechenden zu erstattenden Kosten aus der Widerspruchsgebühr und aus den Vertretungskosten, für die die in der Verordnung festgelegten Höchstsätze festzusetzen sind.

Die Widerspruchsabteilung

Lars HELBERT

Sigrid DICKMANNS

Denitza STOYANOVA-VALCHANOVA

Gemäß Artikel 59 UMV kann jeder Beteiligte, der durch diese Entscheidung beschwert ist, gegen diese Entscheidung Beschwerde einlegen. Gemäß Artikel 60 UMV ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieser Entscheidung schriftlich beim Amt einzulegen. Die Beschwerdeschrift muss in der Verfahrenssprache eingereicht werden, in der die Entscheidung, die Gegenstand der Beschwerde ist, ergangen ist. Innerhalb von vier Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung ist die Beschwerde schriftlich zu begründen. Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr von 720 EUR entrichtet worden ist.

Die Festsetzung des Betrags der zu erstattenden Kosten kann nur auf Antrag durch eine Entscheidung der Widerspruchsabteilung überprüft werden. Gemäß Regel 94 Absatz 4 UMDV ist ein solcher Antrag innerhalb eines Monats nach Zustellung der Kostenfestsetzung einzureichen; er gilt erst als gestellt, wenn die Gebühr für die Überprüfung der Kostenfestsetzung von 100 EUR (Anhang I Abschnitt A Nummer 33 UMV) entrichtet worden ist.

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