GB | Decision 347/2016-4

ENTSCHEIDUNG

der Vierten Beschwerdekammer

vom 18. Januar 2017

In dem Beschwerdeverfahren R 1347/2016-4

Gühring KG

Herderstr. 50-54

D-72458 Albstadt

Deutschland

Anmelderin / Beschwerdeführerin

vertreten durch STUMPF Patentanwälte PartGmbB, Alte Weinsteige 73, D-70597 Stuttgart, Deutschland

BESCHWERDE betreffend die Unionsmarkenanmeldung Nr. 14 606 421

erlässt

DIE VIERTE BESCHWERDEKAMMER

unter Mitwirkung von D. Schennen (Vorsitzender und Berichterstatter), E. Fink (Mitglied) und L. Marijnissen (Mitglied)

Geschäftsstellenbeamter: H. Dijkema

die folgende


Entscheidung

Sachverhalt

  1. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüferin vom 9.6.2016, die Unionsmarkenanmeldung Nr. 14 606 421 für die Wortmarke

GB

vollständig zurückzuweisen, und zwar für:

Klasse 7 – Werkzeuge als Maschinenteile; Zerspanungswerkzeuge (maschinell angetriebene Werkzeuge); Stechwerkzeuge (maschinell angetriebene Werkzeuge); maschinelle Werkzeuge für Werkzeugmaschinen; Spannfutter als Maschinenteile; Bohrfutter als Maschinenteile; Werkzeugaufnahmen als Teile von Werkzeugmaschinen; Werkzeugeinstellgeräte zum Einstellen und Justieren von Werkzeugen (soweit in Klasse 07 enthalten); modulare Kupplungen für Werkzeugmaschinen.

Klasse 8 – Handbetätigte Werkzeuge; Handwerkzeuge zum Schneiden, Bohren, Schleifen, Stechen und Schärfen sowie zur Oberflächenbehandlung; rotierende Metallschneidewerkzeuge [handbetätigte Werkzeuge].

Klasse 40 – Materialbearbeitung, nämlich Schleifen und Beschichten von Werkzeugen; Metallbearbeitung; Auftragsfertigung für Dritte.

  1. Die Prüferin führte aus: Das Anmeldezeichen sei beschreibend, und ihm fehle jede Unterscheidungskraft (Artikel 7 (1) (b) und (c) UMV). Es bestehe gemäß www.oxforddictionaries.com/us/definition/american_english ausschließlich aus der Abkürzung der Wörter „Great Britain“, auf Deutsch Großbritannien. Der Verkehr werde die Abkürzung als Ausdruck mit der Bedeutung „Großbritannien“ verstehen. Das Anmeldezeichen mache den Verbrauchern deutlich, dass es sich bei den angemeldeten Waren um solche handelt, die in Großbritannien hergestellt werden bzw. um Dienstleistungen handelt, die in Großbritannien erbracht werden. Es handele sich um eine Angabe, die offensichtliche und direkte Informationen zur geografischen Herkunft der Waren und der Erbringung der Dienstleistungen vermittle. Da das Anmeldezeichen aus englischen Wörtern bestehe, seien die maßgeblichen Verkehrskreise gemäß Artikel 7 (2) UMV die englischsprachigen Verbraucher innerhalb der EU. Da das Anmeldezeichen als beschreibende Angabe (Artikel 7 (1) (c) UMV) wahrgenommen werde, sei jegliche Annahme, dass es eine Herkunft bezeichne, ausgeschlossen, so dass die Anmeldung im o.a. Umfang auch wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß Artikel 7 (1) (b) UMV zurückzuweisen sei.

  1. In der Beschwerdebegründung tritt die Anmelderin der Annahme eines Eintragungshindernisses nach Artikel 7 (1) (c) oder (b) UMV entgegen. Sie wendet ein, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass alle in einem Wörterbuch erläuterten Abkürzungen auch dem gängigen Sprachgebrauch entsprechen. Eine Buchstabenfolge habe vielmehr grundsätzlich inhärente Kennzeichnungskraft. Weder die Art der Waren und Dienstleistungen noch deren Verwendung ließen darauf schließen, dass die angesprochenen Verkehrskreise, die überdies nicht auf die englischsprachigen Verbraucher reduziert werden dürften, in „GB“ eine rein beschreibende Angabe sähen. „GB“ werde üblicherweise nicht als Kürzel für „Großbritannien“ verwendet. Eine Vielzahl vergleichbarer Marken, bestehend aus zwei Buchstaben, die Länderkürzeln entsprechen, seien bereits eingetragen worden, z.B. DE, FR, AT, IE und DK.

Entscheidungsgründe

  1. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

  1. Nach Artikel 7 (1) (c) UMV sind Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes der geografischen Herkunft oder der Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Ware oder Dienstleistung dienen können, von der Eintragung ausgeschlossen. Unter einem „Merkmal“ einer Ware i.S.v. Artikel 7 (1) (c) UMV ist eine Angabe zu verstehen, die dazu dient, eine leicht von den beteiligten Verkehrskreisen zu erkennende Eigenschaft der Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung beantragt wird, zu bezeichnen (10.3.2011, C-51/10 P, „1000“, EU:C:2011:139, § 50).

  1. Dafür maßgeblich ist, ob sich aus Sicht des angesprochenen Publikums eine ausreichend klare und spezifische Beziehung zwischen der Wortbedeutung und den beanspruchten Waren oder Dienstleistungen vorliegt (siehe 27.2.2002, T106/00, „Streamserve“, EU:T:2002:43, § 44; 15.5.2014, T-366/12, „Yoghurt-Gums“, EU:T:2014:256, § 20).

  1. Das angesprochene Publikum besteht vorliegend hauptsächlich aus Fachverkehrskreisen aus der gesamten EU. Allerdings reicht es nach Artikel 7 (2) UMV aus, wenn das Anmeldezeichen nach dem Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise in einem Teil der EU, z.B. in dem Mitgliedstaat Großbritannien, beschreibend ist (vgl. 20.7.2016, T-11/15, „SUEDTIROL“, EU:T:2016:422, § 37, 38).

  1. Maßgeblich ist das normale Verständnis der so definierten Verkehrskreise (12.2.2004, C-363/99, „Postkantoor“, EU:C:2004:86, § 75). Regelmäßig ergibt sich der normale Sprachgebrauch aus Wörterbüchern. Das ist aber nicht allein maßgeblich; Wörterbücher verzeichnen auch Eigennamen und Abkürzungen, und zwar auch solche, die unzweifelhaft Eigennamen von Institutionen oder Gesellschaften sind, im Unterschied zu Abkürzungen von Begriffen, die für sich bereits rein beschreibend sind, und außerdem auch Vornamen (wegen ihrer Entsprechung in der Zielsprache, wie Henry für Heinrich).

  1. Im vorliegenden Fall wurde die Zurückweisung ausschließlich damit begründet, dass es sich bei „GB“ um eine Angabe handele, die den Ort der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung bezeichne. Die Prüfung auf absolute Eintragungshindernisse hat in Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu erfolgen, und die angefochtene Entscheidung unterließ Ausführungen zu deren Art, einschließlich zu der Frage, inwieweit die geografische Herkunft für diese relevant sein kann.

  1. Es ist also zu fragen, ob das Anmeldezeichen so wie angemeldet und ohne Hinzudenken weiterer Angaben, aus denen sich ein beschreibender Kontext ergäbe, wenn es auf oder im Zusammenhang mit der Vermarktung der relevanten Waren verwendet würde, als sachbezogene, informatorische Angabe verstanden würde. Maßgeblich ist, ob im Rahmen einer Prognoseentscheidung davon auszugehen ist, dass die relevanten Verkehrskreise in der Angabe „GB“, wenn diese allein und ohne Hinzufügung weiterer erläuternder Zeichen oder Angaben, auf einem der beanspruchten „Werkzeuge“ oder im Zusammenhang mit deren Vermarktung aufscheint, einen Hinweis darauf erkennen, dass die betreffende Ware aus Großbritannien stammt. Analoges gilt für Klasse 40 im Hinblick auf den Ort der Erbringung der Materialbearbeitungs-Dienstleistungen.

  1. Dies ist zu verneinen. Dafür maßgeblich sind drei Gründe, von denen möglicherweise keiner allein, wohl aber jeder in Kombination mit den anderen beiden Gründen zu diesem Schluss führt.

  1. Erstens kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass bei den angemeldeten, industriell gefertigten „Werkzeugen“ usw. die geografische Herkunft der Ware für deren Qualität, Verkehrswert oder für sonstige Eigenschaften wesentlich sein könnte (8.12.2016, R 520/2016-4, „Heidelberg“, § 20).

  1. Zweitens mangelt es dem Ausdruck „GB“, selbst wenn dieser in bestimmten Zusammenhängen als Angabe, die auf „Großbritannien“ hinweist, verstanden werden sollte, an Eindeutigkeit. Es entspricht nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch, zu sagen, „ich fahre nach GB“ oder „die Ware kommt aus GB“, auch nicht im Englischen. Es mag sein, dass in bestimmtem Kontext, z.B. auf Autokennzeichen oder in Adressen oder länderbezogenen Statistiken, „GB“ und vergleichbare Länderkürzel eindeutig in dem Sinne der Angabe des betreffenden Landes verstanden werden. Ohne einen solchen Kontext kann aber eine 2-Buchstaben-Abkürzung auch für andere Dinge stehen (Initialen eines Eigennamens, Gigabyte) und es liegt somit keineswegs von vornherein nahe, dass eine Angabe gemeint ist, die ein bestimmtes Land bezeichnen soll. Hinzu kommt, dass zum einen „GB“ geografisch nicht unbedingt eindeutig ist (als Hauptteil des „United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland“ – heutzutage überwiegend mit „UK“ bezeichnet, also mit Einschluss Schottlands) und zum anderen es für jeden souveränen Staat einen Zwei-Buchstaben-Code (WIPO-INID-Code bzw. ISO-Code) gibt, wobei nicht erkennbar ist, wo hier die Grenze zu ziehen wäre und wieso dann nicht auch Abkürzungen von Regionen und Teilstaaten einzubeziehen wären, so dass der Kreis der von der Beanstandung betroffenen Zeichen unübersehbar würde. Im Gegenteil hat die Anmelderin darauf hingewiesen, dass solche anderen Länderkürzel wie AT, DE, DK in der Vergangenheit nicht beanstandet wurden.

  1. Drittens kann zwar der allgemeinen Lebenserfahrung nach davon ausgegangen werden, dass industriell gefertigte Waren wie z.B. Werkzeuge aus Metall als Hinweis auf eine bestimmte Qualität, zur Abgrenzung von minderwertigen Nachahmungen, mit Bezeichnungen wie „Made in Germany“ oder auch „Made in Great Britain“ versehen werden (vgl. 15.12.2011, T-377/09, „Passionately Swiss“, EU:T:2011:753, § 44 und 4.5.1999, C-108/97, „Chiemsee“, EU:C:1999:230, § 26 zu der Intention, mit dem Hinweis auf einen geografischen Ort die Qualität oder andere mit dem betr. Ort positiv besetzte Verbrauchervorstellungen zum Ausdruck zu bringen). Doch entspricht es ebenso der allgemeinen Lebenserfahrung, dass solche Hinweise dann auch entsprechend explizit getätigt werden und dass sich die relevanten Verkehrskreise, wenn sie eine derartige sachbezogene Angabe über das Land der Herstellung der Ware beabsichtigten, nicht auf eine simple Folge zweier Buchstaben beschränken würden, gerade deshalb, weil derartige Abkürzungen auch in zahllosen anderen Zusammenhängen und dann auch mit ganz unterschiedlicher Bedeutung benutzt werden können. Mit anderen Worten kann die Kammer der Argumentation nicht beitreten, „GB“ müsse zurückgewiesen werden, weil die Angabe „Made in Great Britain“ zurückzuweisen wäre.

  1. Dabei berücksichtigt die Kammer sehr wohl, dass es ausreicht, wenn das Anmeldezeichen in einer von mehreren Bedeutungen oder Verwendungsmöglichkeiten beschreibend ist (12.2.2004, C-363/99, „Postkantoor“, EU:C:2004:86, § 97; 23.10.2003, C191/01 P, „Doublemint“, EU:C:2003:579, § 32). Doch muss zumindest eine dieser Bedeutungen für das Publikum ohne weiteres Nachdenken und aus sich selbst heraus unmittelbar erkennbar sein.

  1. Handelt es sich mithin nicht um eine „geografisch“ beschreibende Angabe, die nach Artikel 7 (1) (c) UMV als Angabe über „Merkmale der Waren und Dienstleistungen“ hätte beanstandet werden dürfen, so fragt sich, ob der Anmeldung aus anderen Gesichtspunkten der beschreibende Charakter zugesprochen oder ihr die Unterscheidungskraft abgesprochen werden müsste.

  1. Solche Gründe hat die Prüferin nicht dargelegt, und sie sind auch für die Kammer nicht ersichtlich. Die bloße Eignung der Buchstabenfolge „GB“, in anderem Kontext als Abkürzung in der Bedeutung von „Großbritannien“ verwendet zu werden, reicht dafür ebensowenig aus wie die Tatsache, dass es sich um eine einfache Kombination zweier Buchstaben handelt. Kann einer solchen Buchstabenkombination kein eindeutiger, für die angemeldeten Waren und Dienstleistungen relevanter Bedeutungsgehalt zugemessen werden, so ist auch die inhärente Unterscheidungskraft nach Artikel 7 (1) (b) UMV zu bejahen, wobei für letztere ein geringerer Grad ausreichend ist.

  1. Somit liegen Eintragungshindernisse nach Artikel 7 (1) (c) oder (b) UMV nicht vor. Die Anmeldung ist für alle angemeldeten Waren und Dienstleistungen zur Veröffentlichung gemäß Artikel 39 (1) UMV zuzulassen.

Tenor der Entscheidung

Aus diesen Gründen entscheidet

DIE KAMMER

wie folgt:

  1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
  2. Die Unionsmarkenanmeldung wird zur Veröffentlichung zugelassen.

Signed

D. Schennen

Signed

L. Marijnissen

Signed

E. Fink

Registrar:

Signed

H.Dijkema

18/01/2017, R 1347/2016-4, GB

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