REAL VR | Decision 2757410

WIDERSPRUCH Nr. B 2 757 410

MIP Metro Group Intellectual Property GmbH & Co. KG, Metro-Str. 1, 40235 Düsseldorf, Deutschland (Widersprechende), vertreten durch MIP Metro Group Intellectual Property GmbH & Co. KG – Eva Schiller, Metro-Str. 1, 40235 Düsseldorf, Deutschland (angestellter Vertreter)

g e g e n

Christian Wittich, Priessnitzstr. 6, 01099 Dresden, Deutschland (Anmelder).

Am 05/06/2017 ergeht durch die Widerspruchsabteilung die folgende

ENTSCHEIDUNG:

1.        Dem Widerspruch Nr. B 2 757 410 wird für alle angefochtenen Waren stattgegeben.

2.        Die Unionsmarkenanmeldung Nr. 15 467 889 wird in ihrer Gesamtheit zurückgewiesen.

3.        Der Anmelder trägt die Kosten, die auf 320 EUR festgesetzt werden. 

BEGRÜNDUNG:

Die Widersprechende legte Widerspruch gegen alle Waren der Unionsmarkenanmeldung Nr. 15 467 889 ein. Der Widerspruch beruht auf der Unionsmarkeneintragung Nr. 9 512 609. Die Widersprechende berief sich auf Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b UMV.

VERWECHSLUNGSGEFAHR – ARTIKEL 8 ABSATZ 1 BUCHSTABE b UMV

Verwechslungsgefahr liegt vor, wenn die Gefahr besteht, dass das Publikum der Auffassung sein könnte, die mit den infrage stehenden Marken gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen stammten von demselben Unternehmen oder gegebenenfalls von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen. Ob eine Verwechslungsgefahr besteht, hängt bei einer umfassenden Beurteilung von der Abwägung mehrerer, voneinander abhängiger Faktoren ab. Zu diesen Faktoren gehören die Ähnlichkeit der Zeichen, die Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen, die Kennzeichnungskraft der älteren Marke, die kennzeichnenden und dominierenden Elemente der in Konflikt stehenden Zeichen sowie das relevante Publikum.

  1. Die Waren

Der Widerspruch basiert u.a. auf den folgenden Waren:

Klasse 9: Wissenschaftliche, Schifffahrts-, Vermessungs-, fotografische, Film-, optische, Wäge-, Mess-, Signal-, Kontroll-, Rettungs- und Unterrichtsapparate und -instrumente; Apparate und Instrumente zum Leiten, Schalten, Umwandeln, Speichern, Regeln und Kontrollieren von Elektrizität; Geräte zur Aufzeichnung, Übertragung und Wiedergabe von Ton und Bild; Datenträger aller Art, mit und ohne Daten; Verkaufsautomaten und Mechaniken für münzbetätigte Apparate; Registrierkassen, Rechenmaschinen, Datenverarbeitungsgeräte, Computer und Computersoftware; Feuerlöschgeräte;….

Der Widerspruch richtet sich gegen die folgenden Waren:

Klasse 9: Optische Brillen; Optische Sichtgläser; Glas [optisch]; Optische Linsen; Optische Sichtgeräte; Optische Sensoren.

Alle angefochtenen Waren sind in der weiter gefassten Kategorie der optischen Apparate und Instrumente der Widersprechenden enthalten. Deshalb sind sie identisch.

  1. Relevantes Publikum – Aufmerksamkeitsgrad

Der Durchschnittsverbraucher der betreffenden Warenart gilt als durchschnittlich gut informiert, aufmerksam und verständig. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Aufmerksamkeitsgrad des Durchschnittsverbrauchers je nach der betreffenden Art von Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich hoch sein kann.

Im vorliegenden Fall wenden sich die für identisch befundenen Waren zum Teil an das breite Publikum (z.B. optische Brillen) und zum Teil an Geschäftskunden mit besonderen beruflichen Kenntnissen oder besonderem beruflichem Fachwissen (z.B. optische Sensoren oder Glas [optisch]).

Der Aufmerksamkeitsgrad kann durchschnittlich bis hoch sein (z.B. seitens der Geschäftskunden).

  1. Die Zeichen

REAL VR

Ältere Marke

Angefochtene Marke

Das relevante Gebiet ist die Europäische Union.

„Bei dieser umfassenden Beurteilung ist hinsichtlich der Ähnlichkeit der betreffenden Marken im Bild, im Klang oder in der Bedeutung auf den Gesamteindruck abzustellen, den die Marken hervorrufen, wobei insbesondere die sie unterscheidenden und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind“ (11/11/1997, C251/95, Sabèl, EU:C:1997:528, § 23).

Der einheitliche Charakter der Unionsmarke bedeutet, dass der Verweis auf eine ältere Unionsmarke in Widerspruchsverfahren gegen die Anmeldung zur Eintragung einer Unionsmarke statthaft ist, die den Schutz der ersten Marke beeinträchtigen würde, wenn auch nur in Bezug auf die Wahrnehmung von Verbrauchern in Teilen der Europäischen Union (18/09/2008, C514/06 P, Armafoam, EU:C:2008:511, § 57). Für die Zurückweisung der angefochtenen Anmeldung ist es daher hinreichend, dass nur für einen Teil des relevanten Publikums der Europäischen Union Verwechslungsgefahr besteht.

Das gemeinsame Element „real“ hat eine Bedeutung in bestimmten Gebieten, zum Beispiel in Ländern, in denen Deutsch verstanden wird. Somit hält es die Widerspruchsabteilung für angemessen, den Vergleich der Zeichen auf den Teil des relevanten Publikums zu richten, der Deutsch spricht.

Bei der älteren Marke handelt es sich um eine Bildmarke, die aus dem Wort „real“ in fett gedruckter roter Kursivschrift sowie zwei blauen Strichen besteht.

Die angefochtene Marke ist hingegen eine Wortmarke, die aus den beiden Elementen „REAL“ und „VR“ besteht. Der Schutz, der sich aus der Eintragung einer Wortmarke ergibt, erstreckt sich auf die in der Anmeldung angegebenen Worte und nicht auf die besonderen grafischen oder gestalterischen Aspekte, die diese Marke möglicherweise annehmen kann. Es ist für den Zeichenvergleich daher irrelevant, ob Wortmarken in Klein- oder Großbuchstaben dargestellt werden.

Das gemeinsame Element „real“ der beiden Zeichen wird vom relevanten Publikum als „in der Wirklichkeit, nicht nur in der Vorstellung so vorhanden; realistisch, sachlich“ verstanden (siehe Duden Online). Da es für die relevanten Waren nicht beschreibend, anspielend oder anderweitig schwach ist, ist es kennzeichnungskräftig (siehe z.B. Entscheidung der Beschwerdekammer 2285/2013-4 vom 16/03/2015).

Das zusätzliche Wortelement „VR“ der angefochtenen Marke ist kennzeichnungskräftig, entweder, weil es für das relevante Publikum mit keiner konkreten Bedeutung verbunden wird oder, weil es mit Bedeutungen verbunden wird, die für die relevanten Waren nicht beschreibend, anspielend oder anderweitig schwach sind, nämlich z.B. als Abkürzung für „Volksrepublik“ oder „Verstärker“ (siehe Munzinger Online).

Das angefochtene Zeichen weist keine Elemente auf, die als eindeutig kennzeichnungskräftiger als andere Elemente erachtet werden können. Als Wortmarke weist es auch keine dominanten Elemente auf.

Das ältere Zeichen besteht aus einem kennzeichnungskräftigen Wortelement und zwei weniger kennzeichnungskräftigen Bildelementen dekorativer Natur, die lediglich aus zwei simplen geometrischen Formen (nämlich zwei blauen Strichen) bestehen (siehe z.B. Widerspruchsentscheidung Nr. B 1 663 007 vom 08/09/2011). Das Wortelement ist daher kennzeichnungskräftiger als die Bildelemente. Das Wortelement im älteren Zeichen ist auch das dominante Element, da es aufgrund seiner Größe am stärksten ins Auge springt.

Bildlich stimmen die Zeichen in Bezug auf den kennzeichnungskräftigen Bestandteil „real“ am Zeichenanfang, der erfahrungsgemäß vom Verkehr stärker beachtet wird, überein. Sie unterscheiden sich jedoch in Bezug auf die Farb- und Bildelemente der älteren Marke sowie hinsichtlich des Wortelements „VR“ der angefochtenen Marke.

Die Zeichen sind daher visuell stark ähnlich.

In klanglicher Hinsicht stimmt die Aussprache der Zeichen in den kennzeichnungskräftigen Anfangssilben „re-al“ in den beiden Zeichen überein. Da die Farb- und Bildelemente der älteren Marke nicht ausgesprochen werden, unterscheidet sich die Aussprache lediglich im Klang der Buchstaben „V-R“ der angefochtenen Marke.

Die Zeichen sind daher klanglich durchschnittlich ähnlich.

Begrifflich wird das in beiden Zeichen enthaltene Element „real“ – obwohl die Zeichen als Ganzes gesehen keinerlei Bedeutung für das Publikum im relevanten Gebiet haben – mit der oben dargelegten kennzeichnungskräftigen Bedeutung in Verbindung gebracht. Sofern das zusätzliche Wortelement „VR“ der angefochtenen Marke mit keiner Bedeutung assoziiert wird, sind die Zeichen begrifflich stark ähnlich; sofern „VR“ als Abkürzung für „Volksrepublik“ oder „Verstärker“ wahrgenommen wird, sind die Zeichen durchschnittlich ähnlich.

Da beim Vergleich der Zeichen zumindest ein ähnlicher Aspekt festgestellt wurde, wird die Prüfung der Verwechslungsgefahr fortgesetzt.

  1. Kennzeichnungskraft der älteren Marke

Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist einer der Faktoren, die bei der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr zu berücksichtigen sind.

Laut der Widersprechenden wird die ältere Marke intensiv genutzt und genießt einen erweiterten Schutzumfang. Aus Gründen der Verfahrensökonomie müssen jedoch die von der Widersprechenden zum Beweis dieses Vorbringens eingereichten Belege im Rahmen des vorliegenden Falls nicht beurteilt werden (siehe unten in „Umfassende Beurteilung“).

Folglich stützt sich die Beurteilung der Kennzeichnungskraft der älteren Marke auf ihre Kennzeichnungskraft von Haus aus. Im vorliegenden Fall hat die ältere Marke als Ganzes aus der Perspektive des Publikums im relevanten Gebiet keine Bedeutung im Hinblick auf die gegenständlichen Waren. Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke ist folglich trotz der Präsenz mehrerer schwacher Elemente in der Marke, wie oben unter Punkt c) der Entscheidung ausgeführt, als normal anzusehen.

  1. Umfassende Beurteilung, andere Argumente und Schlussfolgerung

„Die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr impliziert eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen. So kann ein geringer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt“ (29/09/1998, C-39/97, Canon, EU:C:1998:442, § 17).

Verwechslungsgefahr besteht dann, wenn der Verbraucher direkt die einander gegenüberstehenden Marken verwechselt oder wenn der Verbraucher eine Verbindung zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen zieht und annimmt, dass die betreffenden Waren/Dienstleistungen vom gleichen Unternehmen oder von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen.

„Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich dem Durchschnittsverbraucher nur selten die Möglichkeit bietet, verschiedene Marken unmittelbar miteinander zu vergleichen, sondern dass er sich auf das unvollkommene Bild verlassen muss, das er von ihnen im Gedächtnis behalten hat“ (22/06/1999, C-342/97, Lloyd Schuhfabrik, EU:C:1999:323, § 26).

Selbst Verbraucher mit einem hohen Maß an Aufmerksamkeit müssen sich auf ihr unvollkommenes Bild von Marken verlassen (21/11/2013, T443/12, ancotel, EU:T:2013:605, § 54).

Die Waren sind identisch. Sie richten sich sowohl an die breite Öffentlichkeit als auch an Geschäftskunden.

Die ältere Marke verfügt von Haus aus über eine normale Kennzeichnungskraft.

Die Vergleichszeichen weisen eine kennzeichnungskräftige Übereinstimmung am Zeichenanfang auf, der vom Publikum erfahrungsgemäß stärker beachtet wird. Die Zeichen sind daher für den deutschsprachigen Verkehr in visueller Hinsicht stark ähnlich sowie klanglich und begrifflich zumindest durchschnittlich ähnlich.

Unter Berücksichtigung aller oben genannten Punkte besteht beim deutschsprachigen Teil des Publikums, selbst bei Berücksichtigung eines (für gewisse Waren) erhöhten Aufmerksamkeitsgrads, Verwechslungsgefahr. Wie oben in Abschnitt c) dieser Entscheidung erwähnt, ist es für die Zurückweisung der angefochtenen Anmeldung hinreichend, dass nur für einen Teil der maßgeblichen Verkehrskreise der Europäischen Union Verwechslungsgefahr besteht.

Daher ist der Widerspruch auf der Grundlage der Unionsmarkeneintragung Nr. 9 512 609 der Widersprechenden begründet. Daraus folgt, dass die angefochtene Marke für alle angefochtenen Waren zurückgewiesen werden muss.

Da der Widerspruch auf Grundlage der älteren Marke von Haus zukommenden Kennzeichnungskraft erfolgreich ist, besteht keine Veranlassung, die von der Widersprechenden behauptete erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke aufgrund intensiver Benutzung zu prüfen. Das Ergebnis wäre das gleiche, selbst wenn die ältere Marke eine erhöhte Kennzeichnungskraft besäße.

KOSTEN

Gemäß Artikel 85 Absatz 1 UMV trägt die im Widerspruchsverfahren unterliegende Partei die der anderen Partei entstandenen Gebühren und Kosten.

Da der Anmelder die unterliegende Partei ist, trägt er die Widerspruchsgebühr sowie alle der Widersprechenden in diesem Verfahren entstandenen Kosten.

Gemäß Regel 94 Absätze 3, 6 und 7 Buchstabe d Ziffer i UMDV bestehen die der Widersprechenden zu erstattenden Kosten aus der Widerspruchsgebühr und aus den Vertretungskosten, für die die in der Verordnung festgelegten Höchstsätze festzusetzen sind. Im vorliegenden Fall hat die Widersprechende keinen zugelassenen Vertreter in Sinne von Artikel 93 UMV bestellt. Daher sind keine Vertretungskosten angefallen.

Die Widerspruchsabteilung

Sigrid DICKMANNS

Beatrix STELTER

Claudia MARTINI

Gemäß Artikel 59 UMV kann jeder Beteiligte, der durch diese Entscheidung beschwert ist, gegen diese Entscheidung Beschwerde einlegen. Gemäß Artikel 60 UMV ist die Beschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieser Entscheidung schriftlich beim Amt einzulegen. Die Beschwerdeschrift muss in der Verfahrenssprache eingereicht werden, in der die Entscheidung, die Gegenstand der Beschwerde ist, ergangen ist. Innerhalb von vier Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung ist die Beschwerde schriftlich zu begründen. Die Beschwerde gilt erst als eingelegt, wenn die Beschwerdegebühr von 720 EUR entrichtet worden ist.

Die Festsetzung des Betrags der zu erstattenden Kosten kann nur auf Antrag durch eine Entscheidung der Widerspruchsabteilung überprüft werden. Gemäß Regel 94 Absatz 4 UMDV ist ein solcher Antrag innerhalb eines Monats nach Zustellung der Kostenfestsetzung einzureichen; er gilt erst als gestellt, wenn die Gebühr für die Überprüfung der Kostenfestsetzung von 100 EUR (Anhang I Abschnitt A Nummer 33 UMV) entrichtet worden ist.

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